Oder: Einige (weiteren) Gründe, warum das Trio so lange wüten konnte
Am 5.9. zeigte das Gericht den Fernsehbeitrag „Kripo Live“ (MDR) aus dem Februar 1998. Das Trio war gerade nach Durchsuchungen untergetaucht. Gezeigt wurde in der Sendung ein rot angestrichener Koffer mit schwarzen Hakenkreuzen auf weißem Grund, der eine funktionstüchtige, jedoch mangels Energiequelle nicht zündfähige Bombe mit einem Gemisch von 10 Gramm TNT und Schwarzpulver enthielt. Diesen Koffer hatten Kinder am 2. September 1997 auf dem Vorplatz des Theaterhauses in Jena gefunden. Nicht berichtet wurde in der Sendung über zwei Bombenattrappen im Oktober 1996 und Dezember 1997 jeweils in Behältern mit Hakenkreuzen.
Trotz des Hakenkreuzes betonte die Beamtin des LKA Thüringen (im Fernsehbeitrag), dass die Polizei „in alle Richtungen – sowohl linksextrem wie rechtsextrem – ermittelt“ habe. Warum bei Hakenkreuzen in die linksextreme Richtung ermittelt wird ergab sich aus dem Fernsehbeitrag nicht. Doch bereits vor Ort hatte ein Beamter des LKA folgendes für feststellungswürdig gehalten:
„Herr… gab an, daß am 24./25.08.97 auf dem Theatervorplatz eine Veranstaltung einer alternativen Gruppe stattfand, bei der laute Musik bis ca, 22.00 Uhr gespielt worden ist. Dabei hätten schwarzafrikanische Männer mit weißen Frauen getanzt.“
Immerhin hatte die Polizei dann aber doch herausgefunden, dass es sich um eine rechtsextreme Straftat handelt, die Täter waren bekannt geworden (das NSU Trio), so dass nun der Fahndungsaufruf mit den bekannten Bildern des Trios erfolgte. Erfolg hatte der Aufruf nicht. Nun ist die Sendung „Kripo Live“ nicht irgendeine Spezialsendung ohne Zuschauer sondern der MDR brüstet sich bis heute mit 1 Mio Zuschauern, also einem absoluter Quotenbringer des MDR selbst im Vergleich mit anderen dritten Programmen. Es wird also sicherlich eine ganze Reihe von Zuschauers gegeben haben, die Hinweise hätte erteilen können dies aber nicht getan haben. Genauso vergeblich blieben spätere Ausstrahlungen in „Kripo Live“, bei denen es um die vom Trio verübten Banküberfälle ging und bei denen Bönhardt und Mundlos zwar nicht namentlich gesucht wurden, bei denen aber Bilder der Überwachungskameras der Banken ausgestrahlt wurden. Auch hier ergaben sich keine Hinweise. Offenbar konnte sich das Trio wie ein Fisch in brauner Brühe bewegen. Sie konnten sich nicht nur auf ein direkt helfendes Netzwerk von Rechtsradikalen stützen, sondern auch auf eine allgemeine, dem Rechtsradikalismus gegenüber offene Stimmung in ihrer Gegend.
„Dienelt-Maus“ und herzensgute „Lisa“
Diese braune Brühe konnten wir im Prozess bereits bestaunen. Da war der Nachbar, der von Zschäpe als „Dienelt-Maus“ sprach und aus Gewohnheit das Bild von Adolf Hitler auf seinem Fernseher stehen lies. Niemand seiner Besucher störte sich daran. Im NDR wurde kurz vor Beginn des Prozesses eine Homestory über Beate Zschäpe unter dem irreführenden Titel „Die Nazi-Morde“ gezeigt, in der ausführlich Nachbarinnen aus dem Haus zu Wort kamen, in dem das Trio von Mai 2001 bis März 2008 wohnte, also in der Zeit, in der die meisten Straftaten begangen wurden. Folgendes wurde dort von den Nachbarinnen zum besten gegeben, die sich mit der Reporterin des NDR distanzlos duzten (mit „Lisa“ ist im folgenden Zschäpe gemeint):
„Wenn die Tür aufging und die Lisa stand vor der Tür, dann war die Welt in Ordnung. …
Und die, die ich kennengelernt habe, egal wie sie jetzt heißt, Beate oder Lisa, für mich bleibt sie dieser herzensgute Mensch…..
Sie war auch zu Kindern herzensgut. ….
Die hat sich dann die Große halt mitgenommen und dann da ne Zeitung geholt oder da Schokolade mitgebracht….
Frage: Diese Morde, die waren ja auch bekannt als Dönermorde ne. Habt Ihr das überhaupt mitbekommen, damals?
„Also ich nicht, ich guck kaum Nachrichten und so einen Scheiß.
Weitere Nachbarin: Nö, nicht wirklich. Ich schalte immer um, wenn sie so Nachrichten bringen im Fernsehen, ….. Ich habe mich dafür auch nicht interessiert.“
Und zu Rechtsradikalen:
„Alle in den Topf hinein und die Leute vor allen Dingen ganz schön aufhetzen gegen die bösen, bösen Rechten. Klar sind da welche dabei, die haben einen Knall weg. Also, so erreichen sie nichts. Aber es gibt auch welche dabei, die sind doch friedlich und versuchen ihre Ziele bloß durchzusetzen.“
„Es gibt ja auch ruhige, friedliebende, sage ich mal Rechtsextreme, Die hören zwar die Musik an und vertreten diese Meinung aber da denkt man halt auch nicht, dass die da irgendwann mal irgendwo eine Waffe ziehen und da einen abschießen.“
Das ist offenbar die Brühe, in der rechte Straftaten nicht angezeigt, gesuchte Täter nicht gemeldet werden. Ein weiteres erstaunt an der Sendung. Warum wurde keine Belohnung ausgesetzt? Wir stellen uns ein anderes Szenario vor: Dieselben Bombenattrappen und Bombe (ohne Zündvorrichtung) wäre vor der Frankfurter Oper gefunden worden, statt eines Hakenkreuzes wäre z.B. ein Galgen abgebildet, an dem das Firmenlogo der Deutschen Bank hängt. Glaubt irgendjemand, dass nach Ermittlung Namen der Täter nicht Zielfahnder losgeschickt worden wären und eine Belohnung ausgesetzt worden wäre?
Der verharmlosende Staatsanwalt
Die Verharmlosung fand in der Staatsanwaltschaft einen mächtigen Fürsprecher. Der damals zuständige Oberstaatsanwalt in Gera (Arndt Koeppen) erklärt in einem Spiegelinterview Februar 1998 zum Trio Folgendes:
„Ich glaube nicht, dass man von einer schlagkräftigen Organisation, die geplant, gezielt, strategisch gewissermaßen, solche Dinge ins Werk setzen wird, in Zukunft wird reden müssen. Das wird, schätze ich, nicht wahr werden“. „Nach meinem Eindruck ist es wie in den allermeisten Fällen nur eine Frage der Zeit.“ Früher oder später werde man die Herren und die Dame begrüßen können. „Da sehe ich nicht das Problem“.
Selbiger Oberstaatsanwalt wurde nun am 09.09.2013 im Thüringer Untersuchungsausschuss vernommen. Natürlich konnte er nun diese Fehleinschätzung nun nicht mehr verteidigen. Damals allerdings passte dies wohl gut in die offizielle Linie, zumindestens wurde er alsbald nach diesem Interview (2001) Staatssekretär im Thüringer Justizministerium. Im Untersuchungsausschuss stand Herr Koeppen dann natürlich unter Druck, also versuchte er sich Erleichterung dadurch zu verschaffen, dass er mit dem Finger auf andere zeigt, wobei dabei durchaus auch ein Zipfel von Wahrheit herauskommen kann. So etwa erzählte Köppen im Untersuchungsausschuss, dass er sich in seiner Zeit als Staatssekretär immer wieder gewundert habe, warum man das Trio nicht habe verhaften können. Er sei damals schon davon überzeugt gewesen, dass das Trio gewarnt werde, er habe sich deshalb an das Innenministerium gewandt und auch direkt den Verfassungsschutz angeschrieben, allerdings ohne Antwort. Hallo Herr Oberstaatsanwalt, was macht man eigentlich, wenn Täter gewarnt werden? Wie wäre es denn mit einem Verfahren wegen Begünstigung oder Strafvereitelung?
Kein Handel mit Rechtsradikalen
Nur in einem wird man Herrn Köppen Recht geben müssen. Das damals existierende Angebot, dass das Trio bei Zusicherung von Straffreiheit auftauchen könnte, hat er abgelehnt. Auch wenn es aus heutiger Sicht brutal klingt, war dies Verhalten richtig, aber nicht konsequent. Man kann nicht rechtsradikalen Bombenlegern Straffreiheit zusichern, sondern man muss den Fahndungsdruck auf sie erhöhen. Das allerdings ist nicht geschehen. Die Alternative dazu kann aber nicht sein, untergetauchten Rechtsradikalen Straffreiheit zuzusichern. Das gibt es auch sonst nicht. Noch in den letzten Jahren sind z. B. Mitglieder der RZ (Revolutionäre Zellen/Rote Zora) nach mehr als 20-jähriger Abwesenheit für Taten aus dem Zeitraum vor 1987 verurteilt worden. Es konnten zwar mit den Justizbehörden Absprachen getroffen werden, bei denen die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, Straffreiheit gegen Auftauchen wurde aber niemandem zugesichert.
Verharmlosung in Ost und West
Nun ist allerdings die Verharmlosung rechtsradikaler Gewalt nicht unbedingt ein ostdeutsches Markenzeichen. Selbiger Staatsanwalt Koeppen, der schon 1998 das Trio verharmloste, wurde später Leitender Staatsanwalt in Marburg. Er wäre in diesem Jahr auch gerne in den hessischen Landtag gewählt worden. In sein Revier fällt die Auseinandersetzung mit einem Bürger in einem kleinen Ort in Mittelhessen, der seit mehr als 10 Jahren versucht, gegen rechte Tendenzen in seinem Heimatort anzukämpfen, dem dafür wiederholt Scheiben und die Haustür eingeschmissen worden sind und der von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht unterstützt, sondern bekämpft wird. Da werden Strafverfahren wegen Verleumdung und Bedrohung eingestellt, weil angeblich der Strafantrag zu spät gestellt wurde, obwohl die Veröffentlichung weiterhin im Internet stand d. h. die Strafantragsfrist noch gar nicht begonnen hat. Umgekehrt werden dann angebliche Falschaussagen, deren ausdrückliche Beeidigung von der Staatsanwaltschaft beantragt wird, zu einem Meineidsverfahren hochgezogen, das erst nach vielen Jahren beim OLG Frankfurt mit einer Einstellung auf Kosten der Staatskasse endet. Wir schätzen, dass allein dieses unsinnige Verfahren den Staat ca. 20.000,00 € getreu der Devise gekosten hat: Für die Bekämpfung von Rechtsradikalen haben wir kein Geld, die Bekämpfung von Antifaschisten ist keine Geldfrage.
Ein weiter Schirm des Verständnisses wird über die Vereinigung „Berger 88“ (ein eingetragener Verein) ausgespannt. Was stört es da, dass ursprünglich die „88“ in rechtsradikalen Runenzeichen dargestellt werden, nach verschiedenen Prozessen darum nunmehr in einer Form wie bei „Combat 18“, was bekanntlich auch nichts Besseres ist. Wiederholt haben Zivilgerichte entschieden, dass damit eine rechtsradikale Tendenz nicht bewiesen sei. Schließlich behaupte die Vereinigung, dass sie 1988 gegründet sei. Was stört die Richter da, dass schon ein einfacher Blick ins Gesetz zum Ergebnis führt, dass ein eingetragener Verein vor der Errichtung der Satzung (im Jahre 1991) und Eintragung ins Vereinsregister (1992) gar nicht gegründet sein kann. All das wird überdeckt von dem Gedanken, dass unsere brave mittelhessische Jugend nicht einfach rechtsradikal sein kann. Wenn dann Krakeler mit Hitlergruss vor der Haustür stehen, ist das sicherlich auch nur dem Alkohol geschuldet, der Täter kann angeblich genauso wenig ermittelt werden, wie die Verantwortlichen für die Beschädigungen von von Fensterscheiben und Haustür.
Eberhard Reinecke